Designtheorie | Design Forschung – ein Exot in Wissenschaft und Wirtschaft
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Design Forschung – ein Exot in Wissenschaft und Wirtschaft

15 Dez Design Forschung – ein Exot in Wissenschaft und Wirtschaft

von Prof. Dr. Brigitte Wolf

Designforschung ist angewandte Forschung. Sie hat das Ziel mit wissenschaftlichen Methoden verwertbare Daten für die Wirtschaft bereitzustellen.

Diese helfen den Unternehmen Entscheidungen zu treffen, die ihre Position auf den globalen Märkten verbessern. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Design einen entscheidenden Beitrag zum Unternehmenserfolg leistet. Bei Investitionen in Designaktivitäten geht es wie überall in der Wirtschaft um das Verhältnis von Kosten und Nutzen. Dafür benötigen die Entscheidungsträger verlässliche Daten und zwar auf allen Ebenen des Managements: Der normativen, der strategischen und der operativen Ebene.

Bedeutung von Designforschung

Die unter dem Begriff Kreativwirtschaft zusammengefassten Unternehmensbereiche gehören mittlerweile zu den wichtigsten Industriezweigen. Dennoch ist Forschung in diesem Bereich kaum vertreten. Designforschung hat weder eine Tradition noch eine Lobby und leidet demzufolge unter chronischem Geldmangel. Forschungsgelder fließen gern nach dem Prinzip, wo schon viel ist, kommt noch mehr hin. Das heißt, öffentliche Gelder für Designforschung fließen – wenn überhaupt – nur in homöopathischen Dosen, wohingegen große Unternehmen durchaus in Designforschung investieren. Ergebnisse sind jedoch nur für den internen Gebrauch bestimmt.

In den vergangenen Jahren sind eine ganze Reihe von Studien erschienen, die belegen, dass „Design-Unternehmen“ erfolgreicher sind als diejenigen, die sich für Design nur wenig oder gar nicht interessieren. Das scheint Grund genug, die Hintergründe und die Erfolgsfaktoren zu erforschen. Die Schwierigkeit besteht dabei vor allem in der Messbarkeit von Design. Hierin liegt die große Herausforderung für die Zukunft und es bedarf noch vieler Forschungsaktivitäten. Um diese voranzubringen, ist es wichtig den Diskurs unter den Forschern zu fördern.

Der Status quo der angewandten Designforschung lässt sich in drei Kategorien unterteilen und den Managementebenen zuordnen:

> Forschung über Design steht in Beziehung zu der normativen Managementebene, die die Werte und die Ziele eines Unternehmens definiert.

> Forschung für Design ist relevant für die strategische Managementebene, die Aktivitäten und Maßnahmen zur Erreichung der Ziele plant.

> Forschung im Design liefert Informationen und consumer insights, die für die operative Ebene von Bedeutung sind, die sich wiederum mit der Umsetzung befasst.

Forschung über Design

Die Forschung zur Wertschöpfung durch Design, zu der Wirkung von Design und hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung von Design finden in der Regel im akademischen Bereich an Universitäten und Instituten statt. Sie wird teils durch öffentliche Forschungsmittel oder nur durch die Motivation und das Engagement der Forschenden finanziert. In den vergangenen vier Jahren wurden am Lehrstuhl für Designtheorie der Universität Wuppertal erste Schritte unternommen um in diesem Forschungsbereich aktiv zu werden.

Den Einstieg in die Designforschung bildete die von der EU geförderte Studie „ADMIRE“. Diese Studie war an dem Centre für Brand, Reputation and Design Management der Inholland University verankert. In Wuppertal wurde die Pilotstudie durchgeführt. Die Studie beschreibt, wie Design in kleinen und mittleren europäischen Unternehmen organisiert und gemanagt wird. Sie erklärt auch, warum Unternehmen Design strategisch oder grundsätzlich nicht nutzen.

Ferner zeigt die ADMIRE-Studie einen Zusammenhang zwischen dem strategischen Management von Design und der Innovationskompetenz der Unternehmen. Dieser Zusammenhang wurde in der Studie
„Design & Innovation in KMUs“ überprüft. In Zusammenarbeit mit dem Projekt „TOP 100 – Die hundert innovativsten Unternehmen im Mittelstand“ wurde eine Online-Befragung durchgeführt. Die Hypothese: „Innovative Unternehmen im Mittelstand sind designorientiert, führen umfassende Designaktivitäten aus und managen ihre Designaktivitäten systematisch und strategisch“ konnte mit den Ergebnissen untermauert werden. Die Mehrheit der befragten Unternehmen ist im B2B (business-to-business) Bereich tätig – nur ein sehr kleiner Teil im B2C (business-to-consumer) Bereich. Interessanterweise spielt Design bei den TOP 100 Unternehmen eine zentrale Rolle, obwohl B2B Unternehmen der Ruf vorauseilt, dem Design eher skeptisch gegenüber zu stehen.

In den befragten Unternehmen ist Design fester Bestandteil der Unternehmensstrategie. Exemplarisch dafür steht die Aussage eines Unternehmers: „Design zieht sich wie ein roter Faden durch unser Unternehmen“. Design wurde in den meisten Unternehmen zur „Chefsache“ erklärt, denn sie haben erkannt, dass sich mit Design nicht nur die Reputation steigern lässt, sondern dass auch die Kommunikation verbessert wird. Ferner erhöht sich mit einer höheren Designkompetenz auch die Mitarbeitermotivation und die Kundenzufriedenheit. Neue sowie verbesserte Produkte und Dienstleistungen werden schneller auf den Markt gebracht. Auch der Zusammenhang zwischen Innovationsleistung und Design zeigt sich in der Studie „Design und Innovation in KMUs“: Bei den TOP 100 Unternehmen liegt der Anteil der Unternehmen, die ihre Designaktivitäten strategisch in die Unternehmensprozesse integriert haben, deutlich höher als beim Durchschnitt. Das zeigt der Vergleich mit anderen Studien.

Im letzten Jahr wurde in Zusammenarbeit mit der Inholland University in Rotterdam für die Organisation DDFA (Dutch Design Fashion Architecture) eine Studie durchgeführt. Der Lehrstuhl Designtheorie untersuchte das Image von holländischem Design und von holländischer Architektur in Deutschland. Die Frage war, ob es für deren spezifische Charakteristik in Deutschland Marktnischen gibt. Und wenn ja, welche Voraussetzungen und Qualifikationen holländische Designer und Architekten brauchen, um in Deutschland erfolgreich tätig zu werden. Eine Marktnische konnte nicht gefunden werden! Stattdessen lieferte die Studie allgemeine Erkenntnisse. Daraus wurde ein dreistufiges Modell für Designer und Architekten entwickelt, das sie dabei unterstützt, Arbeitsbeziehungen zu Unternehmen in anderen Kulturen aufzubauen.

Zurzeit entsteht eine Studie zum Thema GlobalDesign. Der empirische Teil der Datenerhebung wird gemeinsam mit Studierenden des Studiengangs Industrial Design durchgeführt. Die Studie soll dokumentieren, wie Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen für ausländische Märkte planen, kommunizieren und verkaufen. Die Studie ist die Vorstudie für ein Forschungsprojekt, welches in Zusammenarbeit mit der Partnerschule ESDI in Rio de Janeiro vorbereitet wird. Für dieses Projekt gibt es eine Anschubfinanzierung vom BMBF.

Die Relevanz dieses Themas ist für Designforscher und auch für Unternehmen weltweit von Interesse. Das zeigt sich auch in der Initiative der Cranfield University in Großbritannien. Dort wurde ein internationales Forschungsprojekt Global Consumer Research Centre beantragt, bei dem der Studiengang Industrial Design der Universität Wuppertal neben weiteren Universitäten aus den USA, Brasilien, Indien und China ein Partner ist.

Forschung für den Designprozess

Forschungsaktivitäten in diesem Bereich werden in der Regel von den Doktorandinnen und Doktoranden durchgeführt und konzentrieren sich auf ganz spezifische Aspekte in Designprozessen oder Anwendungsgebieten. Die Wuppertaler Doktorarbeiten sind noch nicht abgeschlossen und deshalb können keine Ergebnisse vorgestellt werden. Themenfelder sind beispielsweise:

> Optimierung von Designprozessabläufen in mittelständischen Unternehmen im Anlagenbau

> Entwicklung von Designstrategien und -prozessen zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit der iranischen Haushaltsgeräteindustrie

> Methodische Weiterentwicklung der TRIZ-Methode für die kreativen Phasen im Designprozess

> Entwicklung einer Methodik zur Überprüfung der Umsetzung der Unternehmenswerte im Design Managementprozess am Beispiel der Automobilindustrie

> Erhöhung der Kundenzufriedenheit durch die Einbeziehung spielerischer Kundenerlebnisse

> Exploration kultureller Vielfalt als Wissensressource für unternehmerische Planungsprozesse

Forschung im Designprozess

Design macht Technik in Form von Produkten und Dienstleistungen für den Menschen nutzbar. Hier gewinnt langfristig, wer die Wünsche, Bedürfnisse und Probleme der Nutzer am besten kennt und ihnen ein Angebot unterbreitet, das so attraktiv ist, dass sie es nicht ablehnen können. Dazu ist es erforderlich, die Nutzer, ihre Gewohnheiten und ihren Lebensstil gut zu kennen. Qualitative Methoden aus der empirischen Sozialforschung bieten sich an, um Benutzerwünsche zu explorieren, Veränderungen und Trends im Alltagsverhalten zu antizipieren und die komplexen Einflüsse aus dem sozio-kulturellen Umfeld zu erkennen.

Wenn möglich, werden die Nutzer direkt in den Entwicklungsprozess einbezogen. Neue Medien eröffnen methodisch ganz neue Möglichkeiten der Integration, wie zum Beispiel user co-creation und crowdsourcing. Pioniere sind hier die internationalen Designagenturen, die durch Weiterentwicklung der methodischen Kompetenzen ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken. Kein größeres Design-Projekt kommt heute ohne qualitative Forschung aus – weder in der Wirtschaft noch in der Hochschule. Deshalb werden Designstudierende bereits in ihrem Studium in Forschungsprozesse eingeführt.

Eine der oben genannten Methoden, das crowdsourcing kam in dem Projekt Kicker 2.0 zum Einsatz. Die Studierenden Nadine von Seelen und Tobias Nentwig haben die Nutzer und die potentiellen Nutzer von Kickern direkt in den Designprozess einbezogen. In diesem Projekt haben sich nicht die Designer verwirklicht, sondern die Nutzer. Die Integration der zukünftigen Benutzer startete mit persönlichen Kontakten und wurde über eine eigens dafür eingerichtete Webseite fortgeführt. Der multiplikatorische Effekt der neuen Medien zeigte sich in der stetig wachsenden Zahl der abgegebenen Online-Bewertungen. Die gewonnenen User-Daten wurden kontinuierlich ausgewertet und bestimmten die Entscheidungen im Designprozess: Vom Standort des Kickers bis zu Form und Farbe, Namensgebung und ganz neuen Produkteigenschaften. So wurde eine interaktive Spielfläche entwickelt, die nicht nur die Spielbewertung übernimmt, sondern zusätzlich ein Lernprogramm enthält. Dieses unterstützt alle, die das Kickern erlernen oder Ihre Leistungen verbessern möchten.

 

Der Kicker 2.0 wurde von Studierenden des Studiengangs Industrial Design unter Einbeziehung der Nutzer nach deren Wünschen gestaltet.

Der Kicker 2.0 wurde von Studierenden des Studiengangs Industrial Design unter Einbeziehung der Nutzer nach deren Wünschen gestaltet.

 

Diskurs

Angewandte Designforschung braucht den Diskurs zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Akteuren. Denn am Anfang steht immer die Idee, neue Ideen entstehen im Austausch mit anderen. Die Veranstaltungsreihe „Design Management Forum“ basiert auf diesem Gedanken. Die nächste Veranstaltung – das 7. Design Management Forum – ist für November 2012 vorgesehen. Das Design Management Forum bietet Design Managern aus Wirtschaft und Wissenschaft die Möglichkeit, aktuelle praxisrelevante Themen im Expertenkreis zu diskutieren und in Workshops zu vertiefen.

Darüber hinaus wird der Austausch zu Themen der nachhaltigen Gestaltung mit dem Netzwerk designwalks* gepflegt. Die Mitglieder des Netzwerks planen und organisieren jedes Jahr die Sustainable Summer School, die im August 2011 zum dritten Mal stattgefunden hat. Eröffnet wurde diese mit einem expert day im neuen Hörsaalgebäude der Universität Wuppertal. Das Thema lautete in diesem Jahr Managing Sustainable Design. Namhafte Experten, Professoren und Mitarbeiter der beteiligten Universitäten und Institute sowie Designstudierende aus aller Welt haben eine Woche lang diskutiert, reflektiert, gedacht und neue Konzepte für die Gestaltung einer nachhaltig lebenswerten Umwelt entwickelt.

 

Expert Day – 3rd Sustainable Summer School

Expert Day – 3rd Sustainable Summer School

 

Last, but not least: Ein Designtheorie Blog zum Austausch und zur Reflektion von Ergebnissen der internationalen Designforschung befindet sich in der Planungsphase.

Kooperationsperspektiven in der Designforschung

Im letzten Wintersemester hat die Diplomarbeit von Cedric Meschke neue Perspektiven für die Designforschung eröffnet. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Biomagnetismus and Biosignalanalyse der Universität Münster hat sich Herr Meschke mit der Messbarkeit der emotionalen Wirkung von Formen befasst. Seine Arbeit möchte er gern als Dissertation fortführen. Die Universität Münster verfügt über die technischen Einrichtungen zur Messung von Gehirnströmen. Wenn es mithilfe dieser Messinstrumente gelingt, die aus den neuen Erkenntnissen abgeleiteten Hypothesen zu überprüfen, wäre dies ein erster Schritt in Richtung Grundlagenforschung im Design.

*Das Netzwerk Sustainable Summer School:
> Bergische Universität Wuppertal
> Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
> Folkwang Universität der Künste/Essen
> ecosign Akademie/Köln
> Hochschule Luzern
> CSCP Centre for Sustainable Consumption and Production/Wuppertal
> Aalto Universität/Helsinki (ab 2012)