Designtheorie | Claus Christian Gronau berichtet über seinen Brasilien-Aufenthalt
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Claus Christian Gronau berichtet über seinen Brasilien-Aufenthalt

23 Mrz Claus Christian Gronau berichtet über seinen Brasilien-Aufenthalt

Claus Christian Gronau berichtet über seinen Brasilien-Aufenthalt in Curitiba (Juli bis Dezember 2015)

Das zweite Halbjahr 2015 habe ich in Brasilien verbracht, um im Herbstsemester an der Pontifíca Universidade Católica do Paraná zu studieren. Dieses freiwillige Auslandssemester habe ich genutzt, um neue Einsichten zu gewinnen, die dann in meine Abschlussarbeit im Master Strategische Produktions- und Innovationsentwicklung einfließen zu lassen.

Vorbereitung
Nach einem Auslandssemester an der TU Delft in den Niederlanden im Rahmen des Bachelorstudienganges wurde dieser Auslandsaufenthalt nun mein zweiter. Dieser erste Austausch hatte mir sehr gut gefallen und mich persönlich in meinen Studium weiter vorangebracht. Daher war ich einem weiteren Aufenthalt gegenüber aufgeschlossen: Das Programm an der PUCPR im Bereich Architektur und Design deckt sich nicht direkt mit den Masterprogramm der Bergischen Universität Wuppertal. Doch gerade im Bereich der Stadtplanung und urbanen Architektur gab es Kurse, die aufgrund ihrer strategischen Ausrichtung sehr vielversprechend klangen. Neben strategischen Kursen, habe ich mich auch noch für brasilianische Kultur und Capoeira entschieden, um die brasilianische Kultur besser zu verstehen und Sport zu treiben. Ein Sprachkurs in brasilianischem Portugiesisch war verpflichtend und wurde ebenfalls von mir besucht.

Auf freiwilliger Basis besuchte ich einen Sprachkurs an der Bergischen Universität Wuppertal, um mich vorab ein bisschen mit der Sprache vertraut zu machen.

Die Kurswahl gestaltete sich als unkompliziert. Vor unserer Ankunft wurden wir seitens der PUCPR mit Informationsmaterial bezüglich der Kurswahl, der Gastuniversität und der Stadt versorgt. Zudem bekamen wir die Möglichkeit vor Ort mit den jeweils zuständigen Professoren zu sprechen, um detailliertere Einblicke in die geplanten Kurse zu bekommen. Auch konnten wir bis 2 Wochen nach Semesterbeginn Kurse wechseln, abwählen oder dazu wählen.

Generell kann man sagen, dass die Mitarbeiter des International Office an der PUCPR sehr hilfsbereit und freundlich sind. Während der gesamten Zeit wurden wir gut betreut und uns wurde nicht nur bei organisatorischen Dingen, welche das Studium betrafen, geholfen, sondern auch bei der Wohnungssuche und Amtsgängen.

Die Wohnungsvermittlung wurde gut durch die PUCPR organisiert. Die meisten Vermieter auf der durch die PUCPR ausgehändigten Liste sprachen Englisch und eine Wohnung war relativ schnell gefunden. Dennoch würde ich jeden raten, sich sofort nach Erhalt der Liste auf die Suche zu machen, um eine bessere Auswahl zu bekommen. Ich denke, dass für die meisten ausländischen Studenten das Centro das interessanteste Viertel ist: Viel los, relativ nah an der PUCPR, gutes Nahverkehrsnetz, relativ günstige Mieten und Lebenshaltungskosten – aber auch ein bisschen gefährlich.

Brasilien ist ein sehr bürokratisches Land, was ich bei der Beantragung des Visas, der Registrierung bei der Bundespolizei (Policia Federal) und der Benutzung des Schwimmbades der PUCPR gemerkt habe. Es ist von großer Wichtigkeit alle Fristen und Termine einzuhalten, auch wenn man vor Ort dann immer noch eine Ewigkeit warten muss. Was den Punkt angeht, sind brasilianische Behörden sehr genau. Aber die Mitarbeiter sind meistens sehr freundlich und helfen gerne, wenn man nicht genau weiß, was zu tun ist.

Studium
Wie bereits erwähnt, hatte meine Fächerwahl einen starken strategischen und stadtplanerischen Schwerpunkt. Mit urbaner Architektur hatte ich mich während meines gesamten Studiums nicht befasst und war auf die neuen Erkenntnisse gespannt. Die Kurse waren Strategic Design, Environmental Studies und Urban Acupuncture.

In Strategic Design ging es darum, zuerst die theoretischen Grundlagen und die Vorteile von Designmanagement in einen Unternehmen zu lernen und sie dann später in einen Businessplan für eine selbst erdachte Geschäftsidee (welche die Lebensqualität in Curitiba bis 2030 verbessern soll) umzusetzen. Der Kurs an sich war solide, doch waren die meisten strategischen Konzepte nicht neu und die größte Herausforderung des Kurses lag für mich dann eher in der Informationsbeschaffung für unser Projekt. Wie in allen anderen Kursen, wurde auch hier die Projektarbeit in Gruppen bewältigt.

Environmental Studies und Urban Acupuncture wurden von demselben Professor angeboten und, da sich beide Kurse auch inhaltlich ergänzten, praktisch wie ein großer Kurs behandelt. Auch hier wurde in den ersten Wochen das theoretische Rüstzeug vermittelt, bevor es zur praktischen Ausarbeitung eines Konzepts ging. Die Idee hinter der Lehrveranstaltung war es, verschiedene aktuelle, stadtplanerische Konzepte vorzustellen und das Neuste davon – Urban Acupuncture – an einen konkreten Beispiel in der Stadt anzuwenden. Hier war es besonders interessant, die Sichtweise des Architekten kennenzulernen und seine Methoden mit denen eines Industriedesigners zu verbinden. Die Ergebnisse unseres Projektes wurden auch sehr gut von unseren Professor aufgenommen.

Neben Angeboten aus der Gestaltung, habe ich noch weitere Kurse besucht: Portugiesisch als Fremdsprache, Brazilian Culture und Capoeira.

Der Sprachkurs war verpflichtend und alle Austauschstudenten wurden nach einen kurzen Eignungstest in die verschiedene Kurse eingeteilt. Ich kam in die Beginner-Klasse. Der Unterricht war soweit ganz gut, nur hätte ich mir mehr praktische Aufgaben gewünscht, um das Gelernte gleich einzuüben. Unsere Lehrerin war aber sehr nett und brachte uns nicht nur die Grundlagen des brasilianischen Portugiesisch bei, sondern gab uns auch viele Tipps bezüglich Curitiba und des alltäglichen Lebens in Brasilien.

In Brazilian Culture ging es vordergründig darum, verschiedene Aspekte der brasilianischen Kultur kennenzulernen. So wurde jede Unterrichtseinheit einem speziellen Thema gewidmet, wie zum Beispiel der Gesichte, der Musik, der Literatur, der Kunst, der Wissenschaft oder der Küche. Nebenbei lernte man aber auch, was die Kultur eines Landes ausmachen kann, welche Bestandteile sie hat und wie man sich ihr nähern kann, um Land und Leute besser zu verstehen. Der Kurs hat mich dazu gebracht, mich nachhaltig mit der brasilianischen Literatur auseinanderzusetzen, die völlig zu unrecht ein Schattendasein im internationalen Literaturbetrieb fristet.

Zu guter Letzt hatte ich noch zwei Stunden Capoeira pro Woche. Hauptsächlich haben wir dort die einzelnen Figuren des Kampftanzes gelernt und wie man sie sicher einsetzt. Aber auch über die Entstehungsgeschichte, die Musik und die Bedeutung der einzelnen Tritte, Manöver und Griffe erfuhren wir einiges.

Die Ausstattung der Universität ist sehr gut. Natürlich mangelte es immer an Arbeitsplätzen und Computern, aber das war bisher überall so, wo ich studiert habe und man hat sich daran gewöhnt. Was auffällt, ist dass die PUCPR keine Mensa hat, wie eine deutsche Universität, sondern einen Food Court, wie bei amerikanischen Hochschulen. Private Gastronomiebetriebe, meist Ketten, bieten dort ihre Speisen an. Das macht sich vor allem beim Preis bemerkbar. Das Essen in der Universität ist im Vergleich zu dem Essen auf der Straße in der Stadt nicht billig. Ich würde jeden Studenten empfehlen, während der Mittagszeit das Unigelände zu verlassen (das ist dann auch in der Regel ungefährlich) und in die Restaurants in der Nähe zu gehen. Die sind billiger, qualitativ einwandfrei und meistens auch abwechslungsreicher. Was mir besonders gefallen hat, ist, dass man als Gaststudent freien Zugang zu einer Sporteinrichtung seiner Wahl bekommen kann – entweder dem Fitnessstudio oder dem Schwimmbad. Darüber hinaus unterhält die Universität eine Arzt-Praxis, dort kann man sich als Studierender gratis untersuchen lassen.

Neben den Mitarbeitern vom International Office und den Professoren, waren es in erster Linie die Study Buddies und Mitglieder der Exchange Group, welche in den ersten Wochen viel geholfen und den Austausch zu einer tollen Erfahrung gemacht haben. Meinen Studybuddy Eduardo habe ich zwar für offizielle Sachen kaum gebraucht, da ich mich recht schnell in Telefonverträge, Busfahrpläne, Fahrkarten und in den Stadtplan eingefuchst hatte, aber er war eine super Adresse, um abends etwas zu unternehmen und die Stadt kennenzulernen. Die anderen Mitglieder aus der Exchange Group haben Partyabende und Kurztrips in das Umland von Curitiba (ca. 500km) organisiert. Eine sehr gute Gelegenheit, um mit wenig Geld und viel Spaß erste Eindrücke zu gewinnen.

Wenn ich mich recht erinnere, waren wir 105 Austauschstudenten aus jeden Winkel der Erde, wobei die Gruppen aus Deutschland und Frankreich, die mit Abstand größten waren. Am Anfang haben wir einiges miteinander unternommen, doch dann begann die Uni und wir haben uns mehr auf die direkten Kommilitonen konzentriert.

Leben in Curitiba
Mein niederländischer und griechischer Mitbewohner, meine deutsche Kommilitonin aus Wuppertal, deren brasilianische Mitbewohner, eine französische Studentin und deren brasilianische Mitbewohner sowie einige Studdybuddies wurden zu meinem sozialen Netzwerk.

In den ersten vier Monaten wohnte ich in einen Haus in Mercês, ein Stadtteil der vorwiegend von Einfamilienhäusern dominiert wird. Die Vermieterin war sehr freundlich, wenn auch ein bisschen chaotisch und das Haus war auch ganz okay (meine Dusche hat nicht funktioniert und konnte in den 4 Wochen nicht repariert werden). Dort lernte ich auch meinen niederländischen Freund kennen. Als dann die Uni anfing, stellte sich aber doch recht bald heraus, dass das Haus in Mercês einfach viel zu weit weg war. Man brauchte über eine Stunde mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, um von dort zu PUCPR zu kommen. Darum suchten wir dann zusammen mit einem Studierenden aus Griechenland, den wir inzwischen kennengelernt hatten, eine neue Bleibe. Die neue Wohnung war sogar billiger (700 R$ statt 1000 R$) und lag im 12. Stock eines Mietshauses direkt im Zentrum von Curitiba. Gut, unser Vermieter ist statt nach 3 Tagen, gar nicht ausgezogen und in der für 4 Leute ausgelegten Wohnung war dann noch überraschend ein Pärchen, aber sonst war es voll okay: Echtholzparkett, ein Bett, ein Schrank, ein Stuhl, ein Schreibtischen und Blick auf den Park vor der Universidade Federal (für Jura).

Wenn wir schon über Geld reden: Vom DAAD bekam ich monatlich 850€. Damit ist man bei einen normalen Lebensstil – PUCPR spricht von 2000 R$ pro Monat – gut ausgekommen. Man gewöhnte sich auch schnell an, täglich den Wechselkurs zu überprüfen, da während meines Aufenthaltes die Rezension in Brasilien immer mehr an Fahrt aufnahm. Ende Juli war der Kurs bei ca. 3,3R$ : 1€. Ende Dezember war er bei 4,1R$ : 1€. Zwischenzeitlich war der Kurs sogar bei 4,7. Unser Geld wurde immer mehr wert und das ziemlich schnell. Was im ersten Moment für einen sehr schön ist, lässt doch einen bei genauer Betrachtung erahnen, welche sozialen, politischen und ökonomischen Kräfte durch Veränderungen auf den Finanzmarkt in Bewegung gesetzt werden können. Man bekommt auch mit, dass zwar alles teurer wird, aber nicht in Relation zu den Kursen, da der Staat mit allen Mitteln versucht den sehr brüchigen sozialen Frieden mit möglichst stabilen Preisen aufrecht zuhalten.

Er weiß nämlich ganz genau, dass neben der Korruption, der man überall im Kleinen (auf dem Amt, im Geschäft) oder Großen (in der Politik) begegnet, die soziale Ungleichheit, die größte Gefahr für den demokratischen Staat ist. Auch im reichen Süden – Curitiba ist eine der reichsten Städte des Landes – sieht man viele Obdachlose, Guarded und Gated Communities, Favelas und ungerechte Verteilung. Die Stimmung der Brasilianer ist im allgemeinen ungebrochen gut, was ich besonders in den ärmeren Städten des Nordens erlebt habe, aber für mich hatte es immer etwas von einen Tanz auf dem Vulkan. Die Mittelschicht wird von zwei Sorgen geplagt: Der abstrakten Sorge, was morgen ist und ob mein Job sicher ist sowie die konkrete Sorge, ob man nachts überfallen wird, wenn man auf den Straßen unterwegs ist.

Und ja, mir ist es passiert. Einer Kommilitonin von mir ist es dreimal passiert. Den meisten aus der Austauschgruppe ist es passiert und unseren brasilianischen Kommilitonen sowieso. Wir sind alle überfallen worden.

Wie gesagt, das Stadtzentrum von Curitiba ist nachts nicht zu hundert Prozent sicher. Nachts können da zweifelhafte Gestalten rumhängen: Obdachlose, Abhängige und Prostituierte. Meistens geht es sehr schnell, bedroht wird man mit einem Messer und dann wollen sie dein Bargeld und dein Handy. Das war’s und es ist überstanden. Bis auf diesen Vorfall habe ich mich aber sicher und wohl in Curitiba und auch im Rest von Brasilien gefühlt.

Curitiba ist eine gute Stadt, um Brasilien kennenzulernen. Zugegeben sie ist nicht so bunt wie Salvador oder quirlig wie Rio. Sie ist vornehmlich grün (Parks) und grau (Häuser). Sie ist sehr europäisch geprägt und organisiert. Das Wetter ist in der Regel eher untypisch für Brasilien. Es regnet oft und es ist vergleichsweise kalt.

Große Sehenswürdigkeiten gibt es in Curitiba nicht. Es waren sowieso mehr die alltäglichen Dinge, die mich begeisterten: Im Mercado Municipal einkaufen zu gehen (nirgendwo sonst gäbe es so viele und gute Lebensmittel), in die Bossa Bar tanzen zu gehen, im Super Wok um die Ecke am Wochenende für wenig Geld Sushi oder auf dem Hippie Markt oder einen der vielen anderen Food Markets eine Pastel zu essen. In der Rua São Francisco zu stehen und wieder beim tres para dez Angebot zuzuschlagen (3 Bier für 10 R$). Im Posseo Publico in der Sonne zu sitzen oder abends bei mir im Fenster zu hocken und der Sonne beim Untergehen zuzuschauen. Denn das konnte Curitiba. Jeden Abend gab es einen schönen Sonnenuntergang.

Nachgedanken und Fazit
Am Ende denkt man immer, dass man mehr hätte erleben können, mehr hätte reisen sollen, mehr machen müssen. Das stimmt womöglich. “You are so german“, sagten meine Freunde immer, wenn ich noch irgendwas für die Universität vorbereiten musste. Aber ich habe auch so viel gesehen und erlebt und einige nette Menschen getroffen.

Und es sind doch einige Erinnerungen, die ich neben dem Studium anhäufen konnte. Zu viele, um alle hier zu schildern und vielleicht auch nicht ganz passend, um an dieser Stelle erwähnt zu werden, aber ich kann sagen, dass ich nicht nur ein fremdes Land, sondern auch mich besser kennengelernt habe. Ich denke, dass ich noch einmal etwas selbstständiger geworden und auch ein bisschen dankbarer bin, in einen Land wie Deutschland aufgewachsen zu sein. Das soll nicht bedeuten, dass Brasilien arm oder schlecht ist und in Deutschland alles super gut läuft. Nein, das nicht, aber auch das man eine Industrienation nicht daran messen kann, wer sich alles ein Smartphone kaufen kann, sondern auch wie es mit der Gesundheitsversorgung, dem Zugang zu Bildung, der Verlässlichkeit des Staates und Vertrauen in eben jenen und auch in die Gesellschaft bestellt ist. Ich habe Sachen gesehen, die mein Denken beeinflusst haben und wenn ich auch noch nicht weiß, wie konkret sie mein Handeln verändern. Sie werden es tun.

Die Brasilianer haben mit großem Interesse verfolgt, wie sich Deutschland bezüglich der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten verhält und waren sehr angetan, dass wir uns ihnen so offen verhalten haben. Obwohl es überall in der brasilianischen Gesellschaft knirscht, die Herkunft oder die Religion eines Menschen war in Brasilien nie ein Grund, jemanden auszugrenzen.

Nach einigen Wochen in Deutschland, unzähligen Vorträgen vor Freunden und Familien, stellt sich dann immer die Frage, ob man anderen Studierenden, ein Semester an der PUCPR in Curitiba empfehlen würde.

Generell würde ich jedem, nicht nur Studierenden, empfehlen für eine gewisse Zeit in das Ausland zu gehen. Dort wird der Alltag zum Abenteuer und man lernt überall etwas. Über den Ort, die Menschen und zu guter Letzt auch über sich selbst.

Abbildung: Biosphärenreservat Ilha das Peças

Anmerkung: Prof. Dr. Brigitte Wolf betreut als Länderbeauftragte für Lateinamerika der Bergischen Universität Wuppertal den Austausch mit Lateinamerika