Designtheorie | Carolin Vogler berichtet über ihren Brasilien-Aufenthalt
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Carolin Vogler berichtet über ihren Brasilien-Aufenthalt

23 Mrz Carolin Vogler berichtet über ihren Brasilien-Aufenthalt

An der Universität Wuppertal studiere ich im Masterprogramm Strategic Innovation of Products and Services. Für mein letztes Semester hatte ich mich an der Pontifical Catholic University of Paraná für ein Auslandssemester und gleichzeitig beim DAAD für das PROMOS Stipendium beworben, um Brasilien kennenzulernen und mich inhaltlich intensiver mit urbaner Architektur zu beschäftigen.

Vorbereitung
Nachdem das Visum beantragt war, erhielt ich einige Informationen der PUCPR über die Universität selbst, verschiedene Ansprechpartner, eine Abfolge der Introduction Week, eine Kursübersicht sowie eine Liste an potentiellen Unterkünften in Curitiba. Da ich gern mit Brasilianern zusammen wohnen wollte, habe ich mir privat, über die Internetnetseite Couchsurfing, zunächst eine Unterkunft für die ersten 4 Tage und anschließend ebenfalls für die gesamte Dauer meines Aufenthaltes eine Wohngemeinschaft mit Brasilienern gesucht, was relativ einfach und unkompliziert verlief.

Ankunft
Etwa eine Woche vor Studienbeginn, Ende Juli 2015, startete die Introduction Week der PUCPR. Zusammen mit zwei Studienkollegen landete ich in Curitiba am Flughafen, wo wir von der Gastmutter einer meiner Studienkollegen abgeholt werden sollten. Während unserer Wartezeit am Flughafen wurden wir von einigen Curitibanern begrüßt und gefragt, ob wir Hilfe oder eine Mitfahrgelegenheit benötigen. Wir kamen somit zum ersten mal mit der brasilianischen Hilfsbereitschaft und Offenheit in Berührung, da in Deutschland ein Verhalten wie dieses gegenüber Fremden eher etwas Besonderes und nicht selbstverständlich ist. Auch von meinem Couchsurfer und seinen drei Mitbewohnern wurde ich sehr freundlich mit einem Bier und Abendessen Willkommen geheißen. Die ersten Tage in Curitiba habe ich genutzt um mich etwas zu orientieren und alltägliche Dinge wie das Kaufen eines Bustickets und einer SIM Card zu erledigen, welches sich als kleine Herausforderung mit nur sehr wenigen Brocken Portugiesisch herausstellte. Die Verkäufer waren jedoch stets sehr bemüht und haben mit mir beispielsweise über den Google Translator kommuniziert.

In der ersten Woche habe ich ebenso andere International Students und deren Study Buddies der PUCPR kennengelernt und einige Orte wie den Jadim Botanico, Passeio Publico und das Centro besucht. Direkt am dritten Tag habe ich ein Zimmer in einer Wohnung im Centro der Stadt gefunden, in der ich von nun an zusammen mit zwei Brasilianern wohnte.

Leider erkrankte ich gleich am Anfang krank musste deswegen einen Arzt aufsuchen. Hierzu bin ich in eines der öffentlichen Krankenhäuser gegangen. Nachdem der Arzt dort eine Mandelentzündung feststellte, musste ich ein Antibiotikum nehmen und konnte leider an den ersten beiden Informationstagen der PUCPR nicht teilnehmen. In Brasilien ist es für Ausländer am einfachsten in Krankheitsfällen ein öffentliches Krankenhaus aufzusuchen. Jede etwas größere Stadt hat mindestens eines, größere Städte auch mehrere. In Curitiba habe ich das UPA des Hospital de Clínicas da UFPR besucht, was ich sehr empfehlen kann. Dort registriert man sich zunächst an einer Art Rezeption mit seinem Reisepass, seiner Adresse in Brasilien, dem Namen seiner Mutter und seiner Telefonnummer. Anschließend wird man in einem kurzen „Check-Up“ durchgecheckt und nach seinen Beschwerden befragt und anschließend zu einem passenden Arzt weitergeleitet. Die Wartezeit zwischen den Stationen kann durchaus eine bis zwei Stunden betragen, die Behandlung am Ende war jedoch in Curitiba sehr gut und ich wurde sogar zu einem englischsprachigen Arzt weitergeleitet. Insgesamt war ich von dem zwar langwierigen aber unkomplizierten Prozess sehr positiv überrascht.

Universität
Insgesamt habe ich von Beginn an einen sehr positiven Eindruck der PUCPR gehabt, der sich während meines Semesters dort weiterhin bestätigte. Die Universität ist sehr gut organisiert, bietet neben den regulären portugiesisch-sprachigen auch englisch-sprachige Kurse an und hat insgesamt ein sehr gutes Freizeitangebot. Etwas schade war insgesamt, dass an den fachspezifischen Kursen in englischer Sprache überwiegend internationale und kaum brasilianische Studenten teilgenommen haben, sodass ich den Austausch mit ihnen innerhalb der Kurse leider etwas vermisst habe.

Belegt habe ich verschiedene Kurse aus dem Bereich „Urbane Architektur“ und „Strategisches Design“, welche meinen Design-Horizont um den der Architektur erweitert haben. Gleichzeitig wurde das in den ersten beiden Monaten des Semesters theoretisch Erlernte, durch Projekte mit der Stadt Curitiba praktisch angewandt.

Ein sehr positiver Nebeneffekt, gerade für mich als Neue in der Stadt, war das nähere Kennenlernen, tiefere Eindringen in die Kultur und Geschichte der Stadt sowie das Verstehen von Regelungen und natürlichen Gegebenheiten.
Nebenbei habe ich in den „Kursen Brasilian Culture“ und „Brazilian Martial Arts & Capoeira“ sehr viel über das Land und die Menschen gelernt. Der Portugiesisch-Sprachkurs, den ich belegt habe, war speziell für Anfänger wie mich gedacht. Die Professorin war stets bemüht und hat versucht, den Unterricht sehr abwechslungsreich mit Videos, kleinen Präsentationen und vielen Vokabeln des täglichen Lebens zu gestalten. Insgesamt muss ich jedoch sagen, dass die beste Sprachschule der Kontakt mit Brasilianern ist.

Freizeitangebot
Das Freizeitkursangebot der PUCPR ist sehr vielseitig und reicht von klassichen Sportarten wie Tanzen, Fußball und Volleyball bis hin zu Cheerleading, Surfen und Capoeira. Es gibt darüber hinaus einen Chor sowie beispielsweise einen Kochkurs, in dem traditionelle brasilianische Gerichte gekocht werden. Die Uni verfügt außerdem über ein Fitnessstudio, welches sich auf dem Campus befindet und ein Schwimmbad, in welchem die Surfkurse stattfinden und geschwommen werden kann. Um das Sportangebot wahrnehmen zu können muss vorab eine etwas bürokratische Prozedur durchlaufen werden: Neben einem physischen Test ist die Teilnahme an einem Fitness-Test verpflichtend, in dem der Gesundheitszustand jedes Teilnehmers geprüft. Für beide Tests muss vorab ein Termin vereinbart werden. Anschließend wurde mir in meinem Fall eine Stunde an zwei oder drei Tagen pro Woche zugewiesen, in der ich das Schwimmbad nutzen darf. In dem speziellen Fall des Schwimmens ist es ebenfalls Pflicht, als Frau einen Badeanzug und als Mann eine Zunga (eine enge Sportschwimmer-Badehose) sowie eine Badekappe zu tragen. Sehr überrascht von der Bürokratie des Sportangebots traute ich mich einmal, als ich zu spät war, kaum zu fragen, ob ich auch außerhalb meines Schwimmtermins schwimmen kann. Natürlich war das kein Problem – wir sind schließlich eben doch in Brasilien.

Curitiba
Vor meiner Ankunft in Brasilien aber auch während meiner Zeit vor Ort, auf Reisen in anderen Städten, wurde Curitiba stets als Vorzeige-Stadt und Vorbild für Brasilien gesehen. Die Stadt ist bekannt für ihr organisiertes und gut funktionierendes Bussystem, ihre Sicherheit, ihren modernen Charakter und ihren allgemeinen Fortschritt in jeglicher Hinsicht.

Angekommen in Curitiba und im täglichen Leben stellte sich jedoch heraus, dass es sich teilweise leider um positive Vorurteile handelt. Das Bussystem in Curitiba ist sehr fortschrittlich und galt für viele andere Städte als Vorbild – bevor jedoch die Einwohnerzahl drastisch anstieg und Curitiba innerhalb kürzester Zeit etwas unkontrolliert wuchs. Mit der Zahl der Einwohner stieg ebenfalls die Zahl der Autos, sodass sich das gut geplante Bussystem leider zu Rushhour-Zeiten ebenfalls staut und leider nicht mehr gut funktioniert.

Gleichzeitig ist die Kriminalität in der Stadt, vor allem im Centro, ebenfalls nicht zu unterschätzen. Speziell in Parks, in einsamen Straßen, aber auch in Menschenmassen in Bars oder an Party-Orten sollte man nie allein, besser in Begleitung und noch besser in Begleitung eines Brasilianers sein. Während meines 5-monatigen Aufenthalts in Curitiba habe ich sehr häufig von Taschendiebstählen sowie bewaffneten Raubüberfällen gehört und wurde selbst drei Mal mit einem Messer ausgeraubt bzw. überfallen – jedes Mal im Centro nahe der Barstraße Rua Sao Francisco. Meiner Erfahrung nach ist die wichtigste Regel: Betrete nach 22 Uhr die Straßen nicht mehr allein und bestenfalls in Begleitung eines Brasilianers. Brasilianer kennen ihre Stadt, ihre Straßen und ihre Leute, sie kennen sämtliche Verhaltensweisen und sind unglaublich gute Beobachter, sodass sie gefährliche Situationen oft gekonnt vermeiden können. Gleichzeitig passiert es auch ihnen ab und zu, dass die überfallen werden. Sobald eine Waffe im Spiel ist, sollte auch nicht diskutiert, sondern stets alles hergegeben werden, was der Bewaffnete verlangt.

Die Menschen in Curitiba sind in Brasilien für ihr kaltes Gemüt bekannt. Erst während meiner Reise im Anschluss an das Semester habe ich wirklich verstanden, was hiermit gemeint war. Für mich als Deutsche nämlich waren die Curitibanos stets sehr offen, freundlich, hilfsbereit und gesprächig. Nachdem ich die gesprächigen Cariocas in Rio de Janeiro und die verrückten Paulista in Sao Paulo, vor allem aber die temperamentvollen Bahianos in Salvador kennengelernt habe, kommen mir die Curitibanos tatsächlich auch im brasilianischen Vergleich eher etwas schüchtern und reserviert vor. 
Frisch aus Deutschland kommend konnte ich dies jedoch anfangs nicht feststellen, da die Deutschen zurückhaltender und reservierter als Curitibanos sind.

Sehr überrascht war ich ebenfalls vom äußeren Erscheinungsbild der Curitibanos: Hier fand ich nur wenige stereotypische braun gebrannte Brasilianer mit Rasta-Locken, sondern stellte fest, dass die Menschen ebenfalls blond, braun und rothaarig sind, mit glattem und gelocktem Haar, mit Kurzhaarschnitt und Rasta-Frisuren, hell- bis dunkelhäutig, mit braunen und blauen Augen. Ich verlor somit das Bild eines stereotypischen Brasilianers und freute mich, dass ich als Deutsche mit blondem Haar auf der Straße in Curitiba dennoch nicht sofort als „Gringa“ erkannt werde.

Ich habe mich insgesamt in Curitiba sehr schnell eingelebt. Der sonntägliche Hippie-Markt im Centro am Largo da Ordem wurde schnell zum Ritual, um zu bummeln, eine Pastel zu essen oder einen der frischen Säfte zu trinken und der Live-Musik der Straßenmusiker zuzuhören. In der Innenstadt gibt es sämtliche Geschäfte, Supermärkte, kleine Shops und Stände, in denen man sehr unkompliziert Dinge des täglichen Gebrauchs, Kleidung, Essen, Elektroartikel und Sonstiges kaufen kann.

Die brasilianische Küche ist im Vergleich insgesamt von unserer europäischen Küche nicht so weit entfernt wie beispielsweise die chinesische – sie essen zum Beispiel ebenfalls viele Backwaren, viel Gemüse und auch Käse. Insgesamt sind die Gerichte wie Feijoada oder Churrasco sehr fleischlastig, sodass es Vegetarier es etwas schwer haben in Restaurants und Lanchonettes vegetarische Speisen zu finden.

Fazit
Ich habe meinen Aufenthalt in Brasilien sehr genossen und mich so wohl gefühlt, dass ich meine Zeit um ein weiteres Semester verlängert habe. Nach meiner zweimonatigen Reise, im Anschluss an das Semester, ist mir die Größe und die Vielfalt des Landes und der Landesleute erst richtig bewusst geworden und ich habe Brasilien noch mehr zu schätzen und lieben gelernt. Ich freue mich sehr auf mein nächstes Semester in Curitiba, in dem ich meine Masterarbeit schreiben werde und kann einen Austausch guten Gewissens jedem empfehlen, der Interesse daran hat, die südamerikanische Kultur kennenzulernen.

Anmerkung: Prof. Dr. Brigitte Wolf betreut als Länderbeauftragte für Lateinamerika der Bergischen Universität Wuppertal den Austausch mit Lateinamerika